Obwohl das Wort „Nachhaltigkeit“ zurzeit überall zu lesen ist, scheint die Bewegung nichts zu bringen. Die Plastik-Teppiche im Meer werden weiterhin immer größer, Klimaschutzziele werden verfehlt, Feinstaubbelastungen werden immer größer und der Welterschöpfungstag liegt jedes Jahr früher. Ich betrachte heute das gesamte Thema Nachhaltigkeit mit kritischen Augen und möchte dich an meinen Gedanken teilhaben lassen.
Der Welterschöpfungstag – was sagt uns dieser Tag?
Dieser sogenannte „Earth Overshoot Day“ oder „Ökoschuldentag“ beschreibt den Tag, an dem wir als Gesellschaft alle nachhaltig regenerierbaren Ressourcen eines gesamten Jahres bereits aufgebraucht haben. Dieser Tag wird von der Organisation Global Footprint Network rechnerisch ermittelt.
Dieses Jahr überziehen wir als Weltbevölkerung schon ab dem 29. Juli unser Öko-Konto – und leben auf Pump. Das ist wieder ein paar Tage früher als noch 2017. Und fast zwei Monate früher als vor zehn Jahren: 2009 begingen wir den Welterschöpfungstag nämlich „erst“ am 25. September.
Und das obwohl man überall nur noch das Wort „Nachhaltigkeit“ hört. Warum rutscht der Tag immer weiter Richtung Januar?
Nachhaltigkeit mit kritischen Augen sehen: Kompromisse eingehen
Dass wir als Gesellschaft trotz aller Vernunft nicht schon lange viel sozialer und umweltfreundlicher handeln, liegt zum einen daran, dass das Thema Nachhaltigkeit ein sehr weites und komplexes Feld ist – und daher nur schwer zu überblicken scheint.
Essentielle Veränderungen müssten sich durch die gesamte Gesellschaft ziehen. Es bringt nicht viel wenn nur einer auf einen Plastikstrohhalm verzichtet. Auch ist der Weg zu sozial und ökologisch bewährten Strukturen nicht eben, sondern oft holprig, schwierig und verschlungen. Nicht alle Lösungen liegen einfach sofort auf der Hand. Viele Veränderungen führen zu Interessenskonflikten. Daher können oft nur Kompromisse eingegangen werden.
Perfekte Lösungen für alle Parteien sind nicht immer leicht und manchmal gar nicht möglich. Wir müssen beispielsweise zwischen politischen Zielen für Klimaschutz und dem Wunsch, Arbeitsplätze in einer klimaschädlichen Industrie (wie der Kohleförderung) zu erhalten, abwägen. Ist es uns unsere Umwelt wert, diese Industrien zu erhalten? Sind es uns die Menschen und Arbeitsplätze wert?
Erst vor ein paar Tagen wurde ich von einer von euch gefragt was besser ist:
Bio-Gemüse in Plastik oder konventionell angebautes Gemüse unverpackt? Was soll sie nehmen?
Ich finde, die Frage ist nicht einfach zu beantworten und eine perfekte Lösung scheint nicht möglich zu sein. Also muss ein Kompromiss her.
Wenn ich persönlich in einer solchen Situation bin, wäge ich zwischen den folgenden Kriterien ab
- Bio
- Unverpackt
- Saisonal
- Regional
Brauche ich es wirklich? Kann ich darauf verzichten? Finde ich ein alternatives Lebensmittel? Kann ich es an einem anderen Ort mit besser erfüllten Kriterien bekommen?
Ich gehe einen Kompromiss ein.
Eine perfekte Lösung gibt es nicht.
Unterm Strich zählt,
ob sich etwas zum Besseren bewegt
Inzwischen gibt es viele Lösungen und Lösungsansätze, die als „nachhaltig“, „ökologisch“ usw. bezeichnet werden. Diese Lösungen sind immer gut gemeint, aber nicht immer gut umgesetzt. Denn oft erweisen sich vermeintlich zukunftsweisende Ideen als Sackgasse. Nehmen wir nur das mittlerweile bereits weitgehend bekannte Dilemma um Bio-Sprit: Der Ansatz ist nicht schlecht: Stück für Stück sollen wir von fossilen Energieträgern wegkommen, das ist für den Klimaschutz essenziell. Aber Regenwälder für Plantagen abzuholzen, um unseren Treibstoff-Bedarf durch Palmöl zu sättigen, ist auch keine optimale Lösung.
Es zählt beim Thema Nachhaltigkeit nicht nur der gute Wille, sondern das Finden von Lösungen, die von allen Seiten beleuchtet und in der Summe zu mehr Umwelt- und Klimaschutz beitragen. Das ist eine ziemlich große Aufgabe – fast zu groß.
Aber an dieser Aufgabe zu verzweifeln oder es sich zu leicht zu machen (und gar nichts zu tun), hilft auch nicht weiter. Wir müssen uns trauen, mit kritischerem Blick auf vermeintliche Lösungen zu blicken, Prozesse durchschauen und hinterfragen. Ich weiß, das ist nicht leicht, aber es ist notwendig – für unsere Zukunft.
Das gilt übrigens für uns als Privatpersonen genauso wie im Berufsalltag, für Politiker, Unternehmer, Investoren, für die Medien und auch für Vereine und NGOs.
Denn wir müssen nicht nur Akteure und Prozesse genau unter die Lupe nehmen, die bisher gar nichts zu mehr Nachhaltigkeit beigetragen haben. Sondern auch die Ideen und Konzepte, die auf den ersten Blick total nachhaltig wirken. Und zwar in vier unterschiedlichen Kategorien/Bereichen:
1. Nachhaltigkeit mit kritischen Augen sehen: Greenwashing erkennen und entlarven
Den ersten Bereich, den wir hinterleuchten sollten kann man als „Greenwashing“ bezeichnen. Es gibt Akteure, oft Unternehmen, die den „Nachhaltigkeit“ für ihre Marketingzwecke missbrauchen, ohne dabei wirklich nachhaltig, fair und sozial zu handeln. Dazu gehören auch selbst erteilte Öko-Siegel oder die Umstellung auf eine „grüne“ Verpackung. Mehr zu Greenwashing kannst du auch hier nachlesen. Ich habe bereits einen ausführlichen Artikel darüber geschrieben.
Kurz zusammengefasst kann man sagen, dass Greenwashing aus mehreren Gründen problematisch ist:
- Zum einen bekommt die Gesellschaft das Gefühl, dieses Unternehmen bringt die nachhaltige Entwicklung voran – Konsumenten genauso wie Politikern wird suggeriert, an dieser Stelle keinen Druck ausüben zu müssen, da scheinbar bereits Nachhaltigkeit umgesetzt wird.
- Außerdem verwäscht Greenwashing den Markt für tatsächlich nachhaltige Produkte oder Dienstleistungen, weil Konsumenten in die Irre geführt werden.
Es daher wichtig, dass wir mit offenen Augen umhergehen und die Fälle von Greenwashing entlarven.
2. Nachhaltigkeit mit kritischen Augen sehen: Den gesamten Lebenszyklus betrachten
Die zweite Kategorie betrifft nicht-komplett-durchdachte Konzepte. Wenn beispielsweise Shirts aus recyceltem Kunststoff hergestellt werden. Diese dann aber beim Waschen Mikroplastik abgegeben, dass dann wiederum im Meer landet. Wir müssen immer den gesamten Lebenszyklus hinterfragen und betrachten – nur dann kann wirklich Nachhaltigkeit bestehen.
Ich weiß, ich bin diejenige die im Alltag ständig von Kompromissen und Unperfektionismus spricht. Wirklich konsequent ist das aber nicht. Schließlich ist dem Regenwald, dem Klima und der Umweltverschmutzung nicht geholfen, wenn wir nur einen kleinen Teil unserer Produkte, unseren Lebens oder unseren Konsums unter die Lupe nehmen.
Das Potential von wirklich nachhaltigen Innovationen sollte Wirkung zeigen können. Es ist daher wichtig, dass wir das gesamte Produktdesign inkl. -lebenszyklus hinterfragen, um eine ganzheitliche Lösung zu finden. So der Idealfall – der tatsächlich Verbesserungen mit sich bringt. Die Realität sieht heute (auch bei mir) in vielen Fällen anders aus, aber ich weiß, wir sind auf einem guten Weg.
3. Grauzonen sind keine Entschuldigung
Natürlich gibt es auch Grauzonen. Was nachhaltig ist und was nicht ist nicht leicht zu erkennen. Auch ich kenne nicht alle Hintergründe und weiß nicht sofort wie nachhaltig, das eine oder andere Produkt ist.
Ein Alltags-Beispiel dafür sind Papiertüten. In vielen Supermärkten sieht man inzwischen Papiertüten statt Plastikbeutel: In der Herstellung haben Papiertüten nämlich einen größeren ökologischen Fußabdruck als Plastiktüten. Aber gelangt Kunststoff in die Umwelt, baut es sich erst nach Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten ab – und führt dadurch zu riesigen Umweltproblemen – die wir bisher kaum abschätzen können. Auch das Konzept der Bio-Kunststoffe ist bisher noch nicht ausgereift.
Denn Bio-Plastik wird nicht ausschließlich aus Nebenprodukten oder Abfällen produziert, sondern oft aus aufwendig angebauten Rohstoffen gewonnen. Diese hätten beispielsweise auch als Nahrung verwendet werden können. Außerdem sind Bio-Kunststoffe oft nur schwer recycel- oder kompostierbar.
Auch Unverpackt-Läden sollten sich kontinuierlich einem kritischen Blick unterziehen, ob all ihre Handlungen wirklich zu Einsparung von Ressourcen führen.
4. Nachhaltigkeit mit kritischen Augen sehen: Von positiven Beispielen lernen
Und viertens: Wir müssen uns trauen Fehler zu machen und aus den Erfahrungen zu Lernen. Wir sollten den Mut haben konstruktives Feedback zu geben und zu bekommen – das ist für erfolgreiche nachhaltige Konzepte und Unternehmen wichtig.
Trotzdem sollten wir dabei sachlich bleiben und Mut machen weiter zu denken, statt immer sofort das Haar in der Suppe zu suchen.
Denn Nachhaltigkeit ist kein Ziel, das wir eines Tages erreichen. Nachhaltigkeit ist ein Weg, den wir gemeinsam als Gesellschaft gehen. Nachhaltigkeit ist das Leitbild für einen Prozess, der immer wieder spannende Erkenntnisse und Lerneffekte für uns bereithält. Wenn wir uns darauf einlassen. Und das sollten wir viel mehr. Hab den Mut dazu!
Es hört sich jetzt vielleicht so an, als wäre wirklich alles schlecht und als würde ich nur noch schwarz sehen und behaupten, dass es bisher und noch lange keine Lösung geben wird.
So sehe ich das nicht.
Mit meinen Beispielen möchte ich nichts Anderes erreichen, als das wir uns alle gemeinsam immer wieder hinterfragen und neu denken lernen – um uns wieder neu herauszufordern und um noch besser zu werden.
Ich möchte dir Mut machen reflektiert zu leben und deine Gewohnheiten und Handlungen zu Hinterfragen. Denn gerade bei unsicheren oder zweifelhaften Grauzonen ist es wichtig, unterschiedliche Ansätze abzuwägen, Kompromisse einzugehen oder ganz neue Alternativen zu suchen und zu entwickeln.
Denn am Ende zählt das, dass sich zum Positiven verändert.
Hallo liebe Christine!
Ich möchte mich erstmal für deinen Text hier bedanken. Ich selbst widtme mich schon sehr lange dem selbigen Thema und befinde mich wie viele andere in dem Prozess.
Ich finde es gut dass auf auf Themen wie „Greenwashing“ uns aufmerksam machst. Und auch die Frage Bio aus dem Ausland oder regional konventionell ansprichst. Was wirklich schwer zu beantworten ist und für uns hat sich diese Frage so beantwortet dass wir unser Gemüse im Rahmen der Permakultur und der Selbstversorgung selbst anbauen.. Somit ist es Bio und Regional! Schwierig wird es dann natürlich in den Städten.. Wir haben mehr als 2 ha Grund um das zu tun… Jedoch sind wir sehr wenige dieser glücklichen Personen.. Jemand in der Stadt hat diese Möglichkeit nicht.. Im Grunde müsste sich unser ganzes System umstrukturieren um das best Mögliche raus zu holen.. Und es würde auch funktionieren wenn man es konsequent durchziehen würde. Dazwischen kommen aber dann die Bedürfnisse einer jeden einzelnen Person! Und dann wirds schwierig.. Du kennst das sicher wie man bei dem Thema vom Hundertsten ins Tausendste kommt wenn man mal damit beginnt 😉
Eine Sache in deinem Text hat mich aber etwas betroffen gemacht. Es war der Satz “ Es bringt nicht viel wenn nur einer auf einen Plastikatrohhalm verzichtet „. Ich persönlich bin mit solchen Aussagen sehr vorsichtig. Zum einen weil es ja nicht vollends stimmt, denn wenn ich beginne auf einen Plastikstrohalm zu verzichten hat sich was verändert, ich muss mich informiert haben oder ein umdenken hat stattgefunden welches für mein ganzes Leben weitreichende Konsequenzen haben kann. Ich versteh schon, du legst deinen Fokus dabei auf die Entwicklungen auf der ganzen Welt! Aber ich finde dies bestätigt die Ausrede die eine Menge Menschen bei uns blockierend zu Tage legen.. “ Es bringt eh nichts wenn nur ich das verändere und alle anderen weiter machen“… Wenn wir alle so denken und nicht bei uns selbst mit Veränderungen beginnen werden wir nie einen Schritt aufs große Ganze zumachen. Ich denke das könnte einige ermutigen an dieser Annahme festzuhalten und nimmt den Wert aus den „Kleinigkeiten des Alltags“ in denen es sich genauso lohnt sich um Nachhaltigkeit zu bemühen.
Ich versteh aber schon wie du es gemeint hast!
In diesem Sinne wünsch ich dir eine schöne Woche 🙂 liebe Grüße, Natascha
Hallo liebe Natascha,
wow, danke für deine lange Nachricht! Ich bin komplett bei dir! Es ist total wichtig, dass wir/jeder von uns den Mut hat kleine Dinge in seinem Leben zu ändern und sich damit langsam an das Thema heranzuwagen. Oft spreche und schreibe ich darüber, dass wir Schritt für Schritt unseren Alltag verändern sollten. Genau das meine ich damit.
Super, dass du das auch so siehst.
Liebe Grüße,
Christine